Jetzt sind wir dran
Wir vier Geschwister hatten als Kinder das unglaubliche Privileg, mit zwei liebevollen und fürsorglichen Grossmüttern aufzuwachsen. Als unsere Nonna im Jahre 2000 starb, waren wir unsäglich traurig, jedoch froh über unsere Granny, welche von da an noch intensiver für uns da war.
Unzählige Stunden verbrachten wir mit ihr. Sie las uns vor, kochte uns unser Lieblingsessen, passte auf uns auf und erfüllte noch so gerne und mit besonderer Hingabe die Pflichten einer Grossmutter. Das war gar nicht so einfach, wenn man bedenkt, dass sie dies für 15 Enkel tat. Unermüdlich fuhr sie in der Schweiz herum und beschenkte uns alle mit ihrer Aufmerksamkeit. Familie war für sie immer das Wichtigste und dieses Familiengefühl gab sie an die folgenden Generationen weiter.
Wie es im Leben aber so spielt, werden wir Menschen nicht jünger und unsere Körper beginnen uns in gewissen Situationen einzuschränken. Zuerst verlang- samen sich die motorischen Fähigkeiten, bis schlussendlich die Kraft fehlt, um alleine vom Stuhl aufzustehen.
Irgendeinmal kamen wir schliesslich zu dem Punkt, an dem sich Granny und die Familie entscheiden mussten, wie es weitergehen sollte. Musste sie nun in ein Altersheim oder konnten wir es ihr als Familie ermöglichen, in ihrem Haus zu bleiben? Natürlich war zuhause zu bleiben die bevorzugte Lösung, was uns allerdings vor gewisse Herausforderungen stellte. Die wohl wichtigste Frage war: Wer übernimmt die Betreuung?
Zusammen mit einer tollen externen Betreuerin, die schon vor Jahren begonnen hatte, Granny im Haushalt zu unterstützen, und mit der Spitex 60plus entstand eine gut funktionierende Betreuung mit dem Ziel, Granny das Leben in ihrem Haus so gut und angenehm wie nur möglich zu gestalten, so wie sie es für uns getan hatte, als wir auf sie angewiesen waren.
Wir hatten das Glück, genügend Personen in unserer Familie zu haben, die sich bereit erklärten, dieses System zu unterstützen und so startete unser Experiment.
Die Wochenenden teilten sich Grannys sieben Kinder untereinander auf. Die Vor- und Nachmittage verbrachte Paola mit ihr und während den Mittags- und Abendstunden war in der Regel ein Enkelkind anwesend. Da unsere Familie gerade neben unserer Granny wohnt, übernahmen wir vier Enkelkinder einen Grossteil der Betreuung, insbesondere Sofie. Die meisten Nächte teilten wir vier uns untereinander auf, teilweise kamen aber auch unsere Cousins oder Cousinen vorbei.
Über sechs Monate haben wir unsere Granny so betreut. Eine unglaubliche und bemerkenswerte Zeit, mit ganz vie- len schönen und lustigen Momenten. Diese Betreuung war hauptsächlich möglich, weil Sofie ein Zwischenjahr einlegte. Sie nahm sich eine Auszeit von ihrer Ausbildung, um auch dann für Granny da zu sein, wenn wir anderen das nicht konnten.
Rückblickend können wir als Geschwister sagen, dass diese sechs Monate eine sehr intensive und zum Teil auch schwierige Zeit, sowohl für uns als auch für Granny, war. Es dauerte eine Zeit, bis sich der Wechsel unserer Beziehung von Grossmutter/Grosskind zu Pflegebedürftige/Pflegende einpendelte. Es gab gewisse Situationen, in denen beide Seiten psychisch wie physisch über Grenzen hinausgehen mussten.
Doch wir bereuen keine einzige Sekunde, die wir mit unserer Granny verbrachten und auch in Zukunft noch mit ihr verbringen werden. Dies nicht mehr als Betreuende, sondern von nun an als regelmässige Besucher. Wir lieben unsere Granny und sind dankbar um jeden Moment, den wir mit ihr geniessen dürfen.
Granny schenkte uns einen riesigen Teil ihrer Zeit, als wir sie brauchten. Und nun konnten (und können) wir ihr etwas davon zurückgeben.