Fallbesprechungen

Dein Arbeitspensum teilst du zwischen Heileurythmie in der Schule und der Pflege von älteren Menschen bei der Spitex-Arbeit. Dabei handelt es sich um zwei völlig unterschiedliche Zielgruppen. Welche sind die wesentlichen Unterschiede, die du bei deiner täglichen Arbeit feststellst?

Die Zielgruppe in der Schule sind Kinder, bei der Spitex sind es ältere, oft auch pflegebedürftige Menschen. Wenn wir das Leben als Kreislauf von Werden und Vergehen betrachten, steht das Kind am Anfang, der alte Mensch am Ende dieses Zyklus. Daraus ergeben sich ganz grosse Unterschiede: Bei Kindern ist der Lebens- zyklus beginnend, der Körper wachsend, die Energie voll Lebensfreude und Vitalität, die Bewegung – Grob- und Feinmo- torik – am Sicherarbeiten, die Kraft im Übermass vorhanden, die Eigendynamik ist rhythmisch und schnell. Bei älteren Menschen ist der Lebenszyklus endend, der Körper zerfallend, die Energie schwin- det, die Vitalität ist auf dem Weg, den Körper zu verlassen, die Bewegung ist reduziert, die Kraft zurückziehend, die Eigendynamik schwerfällig, verlangsamt. Eine spannende Frage ist auch die gegenteilige: Was ist gleich? Beide stehen am Tor zu einem neuen Zyklus.

Was war der Ansporn, bei der Spitex zu arbeiten bzw. sich um die Pflege und Betreuung älterer Menschen zu kümmern und woran findest du Freude bei der täglichen Arbeit?

Mich faszinieren Menschen, ihre Geschichten, ihre Biografie, ihr Ausdruck. Jeder Mensch ist so einzigartig! Es macht mir grosse Freude, diesen Menschen zu begegnen. Die Arbeit bei der Spitex 60plus ermöglicht mir viele solcher Begegnungen und lässt mir genügend Freiraum für Eigeninitiative und Fantasie, was ich sehr schätze und was wiederum bereichernd und abwechslungsreicher für das Leben der zu pflegenden Menschen sein kann.

Menschen in fortgeschrittenem Alter leiden an Bewegungsmangel: Die Mus- keln sind schwach, die Gelenke nicht mehr so beweglich und auch die Motivation ist nicht immer vorhanden. Was bezweckst du mit der Eurythmie und welche Erfahrungen hast du mit älteren Menschen gemacht?

Eurythmie ist eine Bewegungskunst, die der Seele und dem Geist Nahrung zu geben vermag. Oft erlebe ich, dass die Menschen wie eingekerkert in ihrem eigenen Körper stecken und er zu einem Gefängnis anstatt zu einem brauchbaren Werkzeug (Instrument) wird. Der Körpe schmerzt, Einsamkeit und Verlassenheit bis hin zur Sinnlosigkeit drücken die Seele. Eurythmie vermag dem Körper neue Energie zu verleihen und den Menschen wieder zur Schönheit hinzuführen, da die Bewegungen anmutig und harmonierend sind. Oft erlebe ich, dass sich die Menschen nachher befreiter, entspannter und zufriedener fühlen.

Die Kommunikation mit Menschen, die unter einer Demenzerkrankung leiden, ist besonders schwer. Wie lassen sich diese Menschen motivieren?

Die Motivation ist eigentlich kein Thema. Demente Menschen reagieren sehr ähnlich wie Kleinkinder auf die Nachahmung und besonders diejenige der körperlichen Bewegung. Dabei spielt das Wahr- nehmen von der vorgezeigten Tätigkeit, Bewegung eine wichtigere Rolle als das intellektuelle Aufnehmen des gesprochenen Wortes.

In der Pflege allgemein wird immer über Zeitmangel gesprochen. Was können die Pflegefachleute beitragen, um die Bewegung älterer Menschen trotz knapper Zeit zu fördern?

Die grösste Förderung besteht bestimmt darin, die Eigenverantwortung für seinen eigenen Körper bewusst zu machen und die Freude an der Bewegung lebendig zu halten. Eurythmie oder auch kleine, einfache Spiele wie z.B. eine Zahl auf den Rücken schreiben und diese erraten eignen sich bestens dafür. Das Repertoire dieser Spiele ist fast grenzenlos und entwickelt sich durch die Interaktion des zu Pflegenden. Es sollte zur Aufgabe der Pflegekraft gehören, ausser der Grundpflege spontan auch auf diesem Gebiet, mit minimalem Zeitaufwand, diesem Bedürfnis gerecht zu werden