Lebensfreudigkeit und Dankbarkeit!
Im Teenageralter befasst man sich nicht oft mit dem Älterwerden und den dazugehörenden Problemen. Man denkt, die Jugend sei ewig … Bis man direkt damit konfrontiert wird.
Als Bankkauffrau in Ausbildung kam ich vor allem im ersten Lehrjahr sehr oft mit älteren, aber auch behinderten Menschen in Kontakt. Meine ersten Einsätze hatte ich am Kundenschalter. Als zuständige Person für Ein- und Auszahlungen sowie Bancomaten-Betreuung hatte ich täglich direkten und spannenden Kundenkontakt.
Nebst den vielen Jugendlichen, die für Kontoeröffnungen vorbeikamen, den Geschäftsleuten, die ihre Zahlungen bei uns tätigten, und den Ehepaaren, die uns für ein Finanzierungsgespräch aufsuchten, hatten wir täglich auch Kundschaft mit etwas spezielleren Bedürfnissen. Das waren ältere Menschen, die für die einfachsten Handlungen unsere Unter- stützung benötigten. Sei es, um ihren PIN-Code im Portemonnaie zu suchen, das Bargeld sicher zu verstauen oder den unbekannten Bancomaten zu bedienen. Der Bancomat – oft auch «Maschine» genannt, war den älteren Kunden nicht ganz geheuer. Einer von ihnen, der ziemlich lange angestanden war, um bei mir am Schalter bedient zu werden, sag- te Folgendes zu mir, als ich ihn darauf hinwies, dass er gerne auch Unterstützung am Bancomat verlangen könnte, um nicht zu warten: «Ja, aber wissen Sie … Diese Maschine spricht nicht mit mir.» Da wurde mir erstmals richtig bewusst, dass die älteren Menschen unter uns nicht nur unsere Unterstützung zur Abwicklung ihrer Bankgeschäfte brauchen. Sie brauchen noch etwas anderes: ein offenes Ohr. So simpel es auch klingt, für diese Kunden ist der Besuch bei der Bank auch ein kleiner Ausflug. Dort treffen sich oft Kollegen und Kol- leginnen, man hat ein nettes Gespräch mit dem wartenden Kunden am Schalter nebenan oder eben mit den Angestellten. Da befasste ich mich erstmals mit dem Älterwerden. Es waren oft Ex-UBS-Mit- arbeitende oder Firmendirektoren, die jetzt als ältere Bankkunden vorbeikamen und für viele für uns selbstverständliche Dinge unsere Unterstützung brauchten. An ihrem Beispiel konnte ich sehen, wie man sich über kleine, alltägliche Ereignisse wie ein Telefongespräch mit dem Enkelkind, ein Zusammentreffen mit einer alten Schulfreundin im Coop oder die blühenden Blüten im Garten erfreuen kann. Dies waren Ereignisse, die an uns 16-Jährigen vorbeigingen. Wir waren so sehr mit anderen, eigentlich ganz unwichtigen Sachen beschäftigt, dass uns solche Erlebnis- se nicht beeindruckten..
Aus dieser Zeit konnte ich sehr viele wichtige Erkenntnisse mitnehmen, die mich ein Leben lang begleiten werden..
Auch vom Umgang mit körperlich und geistig behinderten Menschen habe ich sehr viel gelernt. Es waren jene Kunden, die stets mit einem fröhlichen Lachen in die Bank kamen und immer etwas zu erzählen hatten. Diese waren es auch, die oft ein kleines Geschenk wie Schokolade oder Süssigkeiten für die Bankangestellten mitbrachten..
Leider erlaubte die Infrastruktur vor allem den Kunden im Rollstuhl keine einfache Abwicklung der Bankgeschäfte am Schalter. Ich musste mich etwas nach vorne bücken, um die Kunden besser zu sehen und zu hören. Als es darum ging, das bezogene Geld oder die Quittung in die Tasche zu versorgen, verliess ich gerne den Schalter, um direkt neben den Kunden zu stehen und ihnen dabei helfen zu können. Ein Kunde im Rollstuhl be- richtete mir jedes Mal von einem neuen Abenteuer. Einmal war es eine Wanderung mit anschliessendem Grillplausch, einmal ein Spaziergang am See usw. Die Freude und der Enthusiasmus, mit de- nen er mir davon erzählte, zeigten mir, dass dieser Mensch vor Lebensfreude sprudelte. Mich lehrte diese Begegnung vor allem zwei Dinge: Lebensfreude und Dankbarkeit!